Der erste April ist da, und vermutlich wird es so sein wie in den letzten Jahren: Gefühlt macht die eine Hälfte des Internets Aprilscherze, während sich die andere Hälfte darüber aufregt. Warum ich die Aufregung nur sehr bedingt nachvollziehen kann, was für mich einen guten Aprilscherz ausmacht und was Aprilscherze mit Medienkompetenz und mit künstlicher Intelligenz zu tun haben.
Faszination Aprilscherz
Ich mag Aprilscherze - wenn sie gut gemacht sind. Sie sind eine ganz besonders geschickte Form der humorvollen Kommunikation. Denn ein Aprilscherz ist nicht irgendein Witz, sondern auf diese ganz bestimmte Art irritierend. Die wirklich guten sind die, denen man für ein Weilchen auf den Leim geht, um dann festzustellen, dass es doch nur ein Scherz war.
Das heißt, ein guter Aprilscherz begibt sich auf den schmalen Grat zwischen Verblüffung („Echt jetzt, kann doch gar nicht sein!“) und Verstehen („Ach so, nein. Aber es KÖNNTE BEINAHE sein.“) Wenn diese Gratwanderung gelingt, spielt ein Aprilscherz mit den Tatsachen. Er packt uns an der Nase und sagt: „Das hast du geglaubt?“ oder er fragt uns: „Und wenn das so wäre, wie wäre das? Besser? Schlechter?“ Manchmal fragt er auch: „Wie kommt es, dass du das für möglich gehalten hast?“ und lässt uns unsere eigene Wahrnehmung in Frage stellen. Oft enthält er ein Element der Satire. Diese Mischung fasziniert mich.
Der Aprilscherz braucht die Auflösung
Ebenso wichtig wie der Scherz selbst ist beim Aprilscherz die Auflösung. Entweder der Veräppelte fällt nicht auf den Scherz rein und tut das mit „April, April“ kund. Oder der Urheber des Scherzes löst durch das erlösende „April, April“ auf. Oder - so wie es bei Aprilscherzen in den Medien gehandhabt wird - man weist in der nächsten Ausgabe, am nächsten Tag oder sonstwie zeitnah auf den Aprilscherz hin. Das ist entscheidend: Es geht eben nicht darum, Fake News zu verbreiten, die Leute in einem falschen Glauben zu belassen oder einen langfristigen Mythos aufzubauen. Sondern darum, mit unserer Gutgläubigkeit zu spielen. Ein guter Aprilscherz lädt uns dazu ein, unser Urteilsvermögen zu trainieren! Ganz ähnlich, wie die Satire es tut. Er weckt in uns die Freude, ihn durchschaut zu haben, und ermutigt uns, über uns selbst zu lachen, weil wir vielleicht für einen Moment geglaubt haben. In dieser Hinsicht sind Aprilscherze vielleicht aktueller denn je, heute, in den Zeiten von Fake News und KI.
Der wirkungsvollste Aprilscherz: Mein Vater und das Bücherregal
Als Kinder gehörte es für uns dazu, jemanden in den April zu schicken, aber auch, selbst aufzupassen und nicht auf einen Scherz hineinzufallen. Auch damals spielten die besten und nachhaltigsten Aprilscherze mit dem Grenzbereich zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen. Er zielte auf die Leichtgläubigkeit seiner „Opfer“ ab und auf ein satirisches „Hast du das etwa geglaubt?“. So wie der Aprilscherz, mit dem mein Vater mich einmal voll erwischt hat.
Er hatte nicht lange vor dem ersten April in meinem Kinderzimmer ein neues Bücherregal an der Wand angebracht. So eins mit Schienen, die an der Wand verschraubt werden, und Borden, die man einhängt. Ich war begeistert und habe das neue Regal als erklärte Leseratte und begeisterte Buchbesitzerin geliebt. Ich werde nie vergessen, wie ich am 1. April die Treppe zu meinem Zimmer hochging, er mir von oben entgegenkam und mit ernster Miene sagte: „Birgit, dein Regal ist von der Wand gefallen!“ Ich bekam einen Riesenschrecken, stürmte an ihm vorbei Richtung Kinderzimmer, um den Schaden zu begutachten, als das erlösende „April, April!“ ertönte. Ich war erleichtert, brauchte aber eine Weile, um mich von dem Schrecken zu erholen. Ich glaube, so ganz wurde ich die Sorge, dieses Regal könne von der Wand fallen, nie wieder los.
Mein Vater hatte den perfekten Aufhänger für seinen Aprilscherz gefunden und ihn meisterlich ausgeführt: Das Regal war mir gerade sehr wichtig, ich freute mich sehr darüber. So hatte ich an dieser Stelle so etwas wie einen wunden Punkt. Es war noch so neu, dass ich noch keine Erfahrung mit seiner langfristigen Stabilität hatte. Für mich damals war es THEORETISCH DENKBAR; dass es hätte abfallen können. Gleichzeitig hat mein Vater sich selbst nicht zu ernst genommen: Er hatte das Regal ja selbst angebracht - wenn es von der Wand gekommen wäre, hätte er etwas ziemlich falsch gemacht. So hat er für einen Moment lang die Möglichkeit zugelassen, dass ich ihm zutraute, ein Regal falsch, nachlässig und sogar fahrlässig anzubauen. Ich habe es kurz geglaubt (Tut mir leid, Paps!). Und er hat die Situation schnell aufgelöst, ich war erleichtert. Und im April angekommen.
Aprilscherze in den Medien: Geschicktes Spiel mit der Medienkompetenz
Jedes Jahr wieder finden sich in den klassischen Medien, aber auch online, jede Menge mehr oder weniger gut gemachte Aprilscherze. Ich nehme die Challenge gerne an, nach ihnen Ausschau zu halten! Gerade hier wird das wichtig, was ich am Anfang über gut gemachte Aprilscherze geschrieben habe: die geschickte Gratwanderung zwischen Unmöglichem, Vielleicht-doch-Möglichem und der Satire. Und hier kommt die Medienkompetenz ins Spiel!
Medienkompetenz, die Fähigkeit, eine Nachricht im Zusammenhang mit ihrem Kontext, ihrer Quelle und unserem Vorwissen einzuschätzen (ganz grob zusammengefasst), ist immer wichtig. Sie war es, seit es Medien gibt, und in Zeiten der Informations- und Desinformationsfluten des Internets ist sie es heute umso mehr. Eigentlich brauchen wir sie täglich, um Informationen zu überprüfen und einzuordnen. Der erste April mit seinen Konvention der Scherze in einem eng begrenzten Zeitraum ist bestens dazu geeignet, einen Scheinwerfer darauf zu richten und uns die Bedeutung der Medienkompetenz bewusst zu machen.
Nicht nur am 1. April: Nachrichten bewusst einordnen
Immerhin ist man am ersten April geneigt, verblüffende Nachrichten bewusst wachsam zu betrachten (es sei denn, man hat das Datum gerade nicht auf dem Schirm). Zu den üblichen Merkmalen des Aprilscherzes kommt hier noch die Beurteilung der Quelle dazu, wie sie für die Medienkompetenz eh unterlässlich ist. Ein geschickter Aprilscherz in einer Zeitung zum Beispiel behandelt ein Thema, mit dem sich die Zeitung auch sonst beschäftigt. Er spielt in der Region, über die sie berichtet. Er provoziert möglicherweise mit einer Information, die dazu geeignet ist, kontroverse Diskussionen hervorzurufen. Und - ganz wichtig - er wählt eine Aussage, die BEINAHE wahr sein könnte, aber EIGENTLICH doch nicht ganz.
Den medialen Aprilscherz, an den ich mich vermutlich wie an das Bücherregal mein ganzes Leben erinnern werde, habe ich vor Jahrzehnten im Radio gehört. Ich wohnte damals noch in Hamburg. Im Radio wurde gemeldet, es sei beschlossen worden, dass die Außenalster in ein Feuchtbiotop umgewandelt werden solle. Das würde in mehreren Stufen umgesetzt, als erstes müssten die Alsterdampfer verschwinden, im nächsten Schritt alle privaten Segelboote. Und so weiter.
Ich mag Moore. Und ich bin immer für Naturschutzmaßnahmen zu haben. Aber selbst ich musste schlucken, als ich mir ein Moor im Zentrum Hamburgs vorstellte, wo jetzt die wunderschöne Alster für einen Hauch von maritimer Atmosphäre sorgt. Ich erinnere mich nicht mehr, wann der Groschen gefallen ist. Auf jeden Fall habe ich mich dann sehr amüsiert - über den gelungenen Aprilscherz und über mich. Denn die Macher des Scherzes haben mich ganz schön erwischt, indem sie nicht nur mit meiner Erwartungshaltung, sondern sogar mit meinen Überzeugungen gespielt haben. Sie haben mich mit der Überzogenheit der Satire dazu gebracht, meine Überzeugungen in Frage zu stellen. Und nicht erst nachzudenken, ob das überhaupt sein kann, was da vermeldet wurde.
KI, der Papst und Aprilscherze
Vor einiger Zeit kursierte ein Foto im Internet, das den Papst in einem luxuriösen weißen Steppmantel zeigte. Ja, auch ich habe es erstmal für echt gehalten. Was sollte ein Papst, wenn ihm kalt ist, Passenderes anziehen als einen langen Steppmantel in der Farbe der Gewänder, die er zu zeremoniellen Anlässen trägt? Aber weit gefehlt: Schnell kam heraus, dass das Bild KI-generiert war. Es hätte sich bestens für einen Aprilscherz geeignet. Und es zeigt nicht nur, wie täuschend echt KI-generierte Bilder mittlerweile sein können, sondern auch, dass wir immer wachsamer sein müssen, um uns zwischen echten und Fake News zurechtzufinden.
Die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen
Vielleicht würde es weniger Aufregung über Aprilscherze geben, wenn wir sie als Training für unsere Medienkompetenz - und unsere Fähigkeit, über uns selbst zu lachen - verstehen würden und diesen Tag dazu nutzen, uns bewusst auf die Suche nach ihnen zu machen. Ein Tag, an dem wir Nachrichten besonders aufmerksam hinterfragen. Und vielleicht können wir ein bisschen von diesem Bewusstsein in den Alltag hinüberretten. Ich zumindest freue mich auf faszinierende Aprilscherze und bin gespannt, was mir dieses Jahr begegnen wird.
Womit hat man Sie einmal so richtig in den April geschickt? Oder mit welchem Aprilscherz ist es Ihnen gelungen, jemanden auf dem falschen Fuß zu erwischen? Erzählen Sie es gerne in den Kommentaren!
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Nicole (Samstag, 01 April 2023 15:04)
Liebe Susemihl (verzeih mir unseren anfänglichen Newsletter-Anrede-Scherz ☺️),
deinen Beitrag finde ich super! Den Aprilscherz als mögliches Training für mehr Medienkompetenz zu betrachten, ist total schlüssig! Danke dir für diesen hilfreichen Hinweis! Als Leseratte hätte mich ein kaputtes Bücherregal auch entsetzt.
Ich habe gerade heute u. a. dich in den April geschickt und freue mich natürlich diebisch darüber, dass es mir gelungen ist. ☺️ Wer es lesen möchte:
https://projekttext.com/gendern-in-zukunft-ohne-mich
Hab ein schönes Wochenende und liebe Grüße. Nicole
Birgit Susemihl (Samstag, 01 April 2023 17:22)
Liebe Nicole,
vielen Dank, es freut mich sehr, dass der Artikel dir gefällt!
Dein Aprilscherz lief bei mir in zwei Stufen: Erst war ich sicher, dass es ein Aprilscherz sein muss. Bis du dann das Entgendern nach Phettberg brachtest. Da dachte ich, das wäre jetzt deine Lösung. Perfekt gelungen :-)