Meistens lese ich Romane, vor allem Science-Fiction-Romane. Oder Sachbücher. Aber dieser Ausflug in das Reich der Kurzgeschichten hat sich gelohnt!
Ein Buch wie ein Abend mit einer Freundin
Ich verrate Ihnen etwas: Ich kenne die niederländische Sängerin und Musicaldarstellerin Femke Soetenga von ihren vielen Gastengagements am Theater Nordhausen, in dem ich jahrelang für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig war. Und wenn ich jetzt ihre Kurzgeschichten lese, meine ich sie sprechen zu hören, so voll von Natürlichkeit und ihrer Persönlichkeit ist die ganz eigene Schreibstimme, die sie gefunden hat. Entdeckt hat sie sie während der langen Zugreisen, die Teil ihres Lebens als freischaffende Künstlerin sind. Dabei herausgekommen ist ein Buch wie ein Abend mit einer guten Freundin: leicht fließend und gleichzeitig tiefgründig, witzig und gleichzeitig zum Nachdenken anregend, ungezwungen, aber nicht beliebig. Ein Buch über die Tücken des Lebens, des Theaters – und des Bahnfahrens, das sich wie ein roter Faden durch viele der Szenen, wie sie nicht von ungefähr die Geschichten überschreibt, hindurchzieht.
Die feine Beobachtungsgabe der Bühnenkünstlerin
Wir lauschen mit der Ich-Erzählerin in überfüllten Zügen den Gesprächen der Fahrgäste, begleiten sie beim Kampf mit den Dimensionen eines Weihnachtsbaums, sind bei einer Kostümanprobe, auf Proben und in Vorstellungen an ihrer Seite und sitzen mit im elterlichen Auto, während ihre Stimme, die sie für die Sprachansagen eines niederländischen Navis hergegeben hat, ihrem Vater Anweisungen erteilt (eine meiner Lieblingsepisoden des Buchs). Mit der feinen Beobachtungsgabe der Schauspielerin fängt Femke Soetenga das Wesen der Menschen ein, die ihr begegnen, und skizziert sie mit wenigen Worten so, dass man sie vor sich zu sehen glaubt. Mit sicherem Gespür findet sie die pointierte Struktur von Geschichten innerhalb des Alltags und erzählt sie im lockeren Plauderton mit einer großen Portion Selbstironie und der nie versiegenden Fähigkeit, über sich selbst zu lachen.
Ein geschickter erzählerischer Schachzug
Eine weitere inhaltliche Klammer ist die wichtigste Nebenfigur des Buchs und gleichzeitig ein geschickter erzählerischer Schachzug: der Mann, der die Ich-Erzählerin vor Beginn der Szenen verlassen hat. Kein einziges Mal taucht „Der Ex“ (genau so groß geschrieben) in einer der Geschichten persönlich auf und ist doch immer präsent, in Erinnerungen, in – niemals sentimentalen – Anflügen von Liebeskummer, im trotzigen, lebensbejahenden Jetzt-erst-recht der frischgebackenen Singlefrau, die sich Schritt für Schritt aus den Überbleibseln seiner Anwesenheit befreit und sich den oben erwähnten Weihnachtsbaum ganz für sich alleine gönnt. Wir begleiten die Erzählerin auch ein Stück auf ihrem Weg, die überraschende Trennung zu verarbeiten.
„Mehr oder weniger wahre Kurzgeschichten“
Ist die Ich-Erzählerin Femke? Diese Frage stellt sich in der Literaturwissenschaft normalerweise nicht, außer wenn es um eine Autobiographie geht, und das ist „Der Käsekuchenmann“ nicht. Der Erzähler ist nie als identisch mit dem Autor zu betrachten. Doch Soetenga nennt ihre Geschichten „mehr oder weniger wahr“ und spielt lustvoll mit dem Oszillieren zwischen Dichtung und Wahrheit. Und das sehr erfolgreich: Mehrere Szenen spielen an eben dem Theater, an dem ich ihr begegnet bin. Und GANZ sicher sein kann ich nicht, dass ich nicht am Rande einer der Geschichten kurz auftauche. Oder war nur der Auslöser real, die Begebenheit aber ganz anders?
Die Faszination der Sprache
Die niederländische Künstlerin, die so perfekt Deutsch spricht, dass sie in dieser Sprache ihr erstes Buch geschrieben hat, geht auf ihre ganz eigene Art mit der Sprache um. Ihre Persönlichkeit, ihre Stimme sind unverkennbar herauszulesen, kleine Ungewöhnlichkeiten, die mir die Eigentümlichkeiten meiner Muttersprache bewusst werden lassen, sind ihre wunderbar persönliche Note und üben eine besondere Faszination aus. Nur das Lektorinnenherz in mir blutet ein klein wenig – in der Auflage, die ich gelesen habe, wären noch einige kleine Korrekturen machbar gewesen, ganz ohne die Schreibstimme von Femke Soetenga und ihren individuellen Umgang mit der Sprache zu verwässern.
Und der Käsekuchen?
Der spielt eine nicht ganz unwichtige Rolle. Trotzdem oder gerade deswegen endet das Buch mit einem Rezept nicht für Käsekuchen, sondern für Apfelkuchen. Ich muss das Rezept unbedingt mal ausprobieren!
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