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Gandalf und das Komma: Lebensrettende Satzzeichen in „Der Herr der Ringe“

Ein tolles Beispiel dafür, wie Satzzeichen zum eindeutigen Verständnis eines Satzes beitragen – oder diese verschleiern - können, findet sich in einem meiner Lieblingsbücher, dem „Herrn der Ringe“. Was für einen riesigen – und handlungsentscheidenden – Unterschied Satzzeichen machen können, das sehen wir uns in diesem Artikel an. 

Ein Kasten warnt mit petrolfarbener Schrift auf hell sandfarbenem Grund vor Spoilern im folgenden Artikel.

Ja, Satzzeichen können nervig sein. Vor allem, wenn man die Regeln dazu lernen soll. Von den Ausnahmen fang ich gar nicht erst an! Satzzeichen sind auch dann nervig, wenn man beim Schreiben oder Korrekturlesen anfängt zu zweifeln. Muss hier ein Komma hin? Oder nicht? Oder ist das ein Fall für ein Kann-Komma? Soll ich das „freiwillige“ Komma setzen oder nicht?

Aber nervig hin oder her, Satzzeichen sind ungeheuer wichtig für das Verständnis eines Satzes, also für die Eindeutigkeit der Aussage. Also führt kein Weg an ihnen vorbei! Wie eine nicht eindeutige Verwendung von Satzzeichen eine Bedeutung vor den Augen der Lesenden verbergen können, hat J. R. R. Tolkien in seinem Meisterwerk „Der Herr der Ringe“ in einer wunderbaren Szene im zweiten Buch des ersten Bands, „Die Gefährten“, im Original „The Fellowship of the Ring“, gezeigt.

Stop! Letzte Warnung! Gleich kommt der Spoiler!

Ein eisernes Tor mit dem Bergbau-Symbol führt in einen Felshang hinein. Das Tor ist geschlossen. Der Weg dorthin steht unter Wasser, man erkennt eine alte Bahnschiene. Rechts und links steile Felsen mit Gras und Farn, die auch den Weg einfassen.
Habe ich im Harz den Eingang der Zwerge zu den Minen von Moria entdeckt?

Frodo, der Ringträger, Gandalf und die Gefährten stehen vor dem Tor Morias, des unterirdischen Zwergenreichs, in das sie nur durch eine mit einem Zauberspruch verschlossene Tür im Felsen hineinkommen. Einen anderen Weg als den durch Moria gibt es für sie nicht, und die Verfolger sind ihnen auf den Fersen, also drängt die Zeit.

 

Gandalf, der Zauberer, liest den Gefährten vor, was in elbischer Sprache auf der Tür steht: Sprich, Freund, und tritt ein.

 

Was das heißt, scheint eindeutig: Wer ein Freund ist, kennt das Passwort, spricht es aus und die Tür öffnet sich. Ganz einfach eigentlich. Aber leider kennt weder Gandalf noch sonst jemand das Wort. Gandalf ist überzeugt davon, dass er nicht viele Versuche brauchen wird, um das richtige Zauberwort zu finden, und macht sich an die Arbeit. Aber ohne Erfolg. Endlich, als alle schon den Mut verlieren, findet er die Lösung des Rätsels. Das Passwort war immer auf die Tür geschrieben: Es ist das elbische Wort für Freund.

 

Es gibt zwei sprachliche Tricks, die die Lösung des Rätsels erschweren: einmal die Verwendung des Wortes Sprich statt z. B. (wie Gandalf dann auch erklärt) Sage. Aber das wäre zu einfach und kein Schutz für die Geheimtür! Die andere hat mit der Interpunktion zu tun.

Hidden in Plain Sight

Denn das Wort Freund ist von Kommata umschlossen. Das würde hier darauf hindeuten, dass Freund als Anrede gemeint ist. So versteht Gandalf den Satz dann auch. Umgestellt könnte er lauten: Freund, sprich und tritt ein.

Was die Zwerge mit ihrer Rätsel-Inschrift gemeint haben, wäre eindeutig, wenn sie Anführungszeichen benutzt hätten: Sprich „Freund“ und tritt ein. Die Anführungszeichen sagen eindeutig aus, dass die Person, die die Inschrift liest, das Wort Freund aussprechen soll. So eindeutig allerdings, dass es für jeden, auch unberechtigte Eindringlinge, ein Leichtes gewesen wäre, in die Tunnelsysteme von Moria einzudringen.

Daher das Verstecken hinter irreführender Interpunktion! Das Passwort steht da, ist aber nicht ohne weiteres als solches zu erkennen. Das ist ziemlich schlau. Wer berechtigt ist, die Minen zu betreten, hat das Wort wahrscheinlich entweder eh parat oder hat es nur vergessen. Mit dem Satz Sprich, Freund, und tritt ein! bekommt er nur einen kleinen Tipp, damit es ihm wieder einfällt. Und wer es nicht kennt – und nicht so einfallsreich wie Gandalf ist –, dem wird die Inschrift nicht wirklich nützen.

Übersetzung und Original

Die deutsche Übersetzung – ich zitiere nicht aus der oben verlinkten Neuübersetzung, sondern aus der älteren grünen Klett-Cotta-Ausgabe, die ich sehr liebe, aus der 6. Auflage von 1979, übersetzt von Margaret Carroux – ist dabei sehr nah daran, wie die Verwirrung um die Inschrift auch im englischen Original funktioniert. Hier steht auf der geheimen Tür Speak, friend, and enter. Auch auf Englisch wäre der Satz eindeutig – zu eindeutig für die Zwecke der Zwerge von Moria –, wenn er hieße Say friend and enter oder ähnliches. Say/sagen und speak/sprechen funktionieren ganz ähnlich. Mit Anführungsstrichen statt der Kommata wäre auch der englische Satz klar: Speak „Friend“ and enter. Sprich „Freund“ und tritt ein. Wunderbar, dass die Übersetzung Tolkiens englisches Sprachrätsel so beibehalten kann!

Falls übrigens jemand von Ihnen der elbischen Sprache soweit mächtig ist, dass er oder sie erklären können, wie es auf Elbisch funktioniert, dann schreiben Sie es bitte unbedingt in die Kommentare! Oder Sie verbloggen Ihrerseits einen Artikel dazu. Dann würde ich mich über einen Link sehr freuen! 

Wie der Blick in „Der Herr der Ringe“ zeigt, lohnt es sich also, genau auf den Gebrauch der Satzzeichen zu achten. Das kann, zumindest in der Literatur, die Handlung vorantreiben. Und sogar Leben retten! 

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